Patrick Otto, meine persönlichen Eindrücke

6:00 Uhr, es klopft an der Kajütentür, Christian steht im Salon und ruft "Karin (!) Patrick (!)… 6 Uhr…Wache…aufstehen." Ich denke "Oh Gott – jetzt schon, ich habe doch so gut geschlafen". Ich bin morgens eigentlich ein Langschläfer und komme nur schwer aus dem Bett. Allerdings beim Wachwechsel gewöhnt man sich an die Disziplin sofort aufzustehen, da man weiß, daß die Mitsegler Ihre Verantwortung an die folgende Schicht übergeben wollen und nun auch Müde sind. Zumal die 6-Uhr-Wache meine Lieblingswache ist. Um diese Uhrzeit ist es an Deck noch sehr frisch, daher streife ich mir eine lange Hose und einen Pullover über. Bevor ich dann über den Niedergang in die Pflicht steige, notiere ich den Luftdruck und vergleiche ihn mit den vorher aufgenommen Werten meiner Kameraden. An Deck erhalten wir eine kurze Übergabe der vorherigen Wache, die auch dann sofort unter Deck verschwindet und endlich die ersehnte Koje aufsucht. Außer einem Halsenmanöver gab es in dieser Nacht keine besonderen Vorkommnisse. Ich kontrolliere nochmals den Trimm der Segel und picke mich mit der Life-Weste an das Sicherheitsseil.

Es ist noch relativ dunkel und mein Blick streift zum Horizont in Richtung Osten. Es ist herrliches klares Wetter und man kann schon erkennen, wie die Sonne versucht sich hinter den Passatwolken durchzukämpfen. Wir machen etwa 5 Knoten Fahrt. Karin fand wie gewohnt ihren Platz in der Pflicht an der Steuerbordseite, die Augen geschlossen und zur Musik aus dem Walkman lauschend.

Ich genieße die Einsamkeit, die frische Brise die mir ins Gesicht weht und den leichten Schlag der Wellen. Um uns herum das scheinbar endlose Meer und die wenigen Sterne, die jetzt noch in westlicher Himmelsrichtung erkennbar sind. Da um diese Zeit alle anderen Mitsegler noch schlafen, kann man ganz in Ruhe den Sonnenaufgang genießen. Etwa gegen 8:30 h Ortszeit hat die Sonne es endlich geschafft die Luft angenehm zu erwärmen. Dies ist auch die Zeit bei der das nächste große Ereignis ansteht, nämlich das Duschen. Es dauert eine ganze Weile bis der schwarze Kunststoffsack mit Salzwasser gefuellt und dann mühevoll mit einem Gurt am Gestänge des Sonnensegel befestigt ist. Das Duschen selbst ist noch sehr umständlich, da wir sehr viel Wert darauf gelegt haben uns auch hier zu sichern. Karin hat viel Mühe, das Ventil des sich permanent pendelnden Wassersacks, nach meinen Wünschen (!) zu öffnen und zu schließen, während ich mich mit einer Hand versuche irgendwo festzuhalten. Am Anfang der Reise hatte ich meine Bedenken, ob das Duschen mit Salzwasser nicht zu unangenehm sein wird. Jetzt muß ich aber sagen, daß man sich auch nach einer Salzwasserdusche erstaunlich wohlfühlen kann. Süßwasser zum persönlichen Gebrauch benutzten wir nur zum Zähneputzen. Es war geschafft - nach dieser Erfrischung fülle ich den Wassersack wieder auf und assistiere meiner Lieben in umgekehrter weise beim Duschen.

Es ist mittlerweile 9:30 h, die Mitsegler schlafen verständlicherweise noch immer und ich denke an die mir vor Reiseantritt am häufigsten gestellten Fragen: Wie kommt Ihr dazu 3-4 Wochen auf hoher See zu verbringen, ohne die Möglichkeit zu haben einen Hafen anzulaufen? Ist es nicht langweilig für so lange Zeit auf dem Meer zu verbringen und das während seines kostbaren 30 Tage Jahresurlaubes? Was macht man denn den ganzen Tag so?

Es ist durchaus berechtigt nach dem Sinn und Zweck eines solchen Unternehmens zu Fragen, zumal wir einen Großteil unseres Jahresurlaubs einplanen mußten. Als Karin und ich die Reise planten, hatten wir noch nicht viele Seemeilen in unserem persönlichen Loggbuch, aber es hat uns einfach gereizt etwas außergewöhnliches zu machen: Gleichgesinnte zu finden, gemeinsam zu planen und auszuführen sowie abseits der Angebote von Reisekatallogen Urlaub zu machen der uns gefällt. Nicht zuletzt wollten wir auch Wissen, wie gut wir mit dem Leben an Bord eines Segelbootes während einer längeren Überfahrt zurechtkommen. Wir träumen davon irgendwann mal auszusteigen und ein paar Jahre mit einem Segelboot die entlegendsten Flecken der Erde anzulaufen. Viele Bücher hatten uns zuvor inspiriert.

Für uns stellte sich zuerst die Frage, wie findet man die richtige Crew. Da wir auf Messen nicht erfolgreich waren, hatten wir im Internet gestöbert und sind auf Horst gestoßen, dem Pionier des Unternehmens, mit dem wir uns von Anfang an verstanden. Auch mit dem Rest der Crew kam es nie zu Konflikten. Wenn man bedenkt, daß man 3…4 Wochen auf engstem Raum mit relativ fremdem Menschen zusammenlebt, hatten wir mit den Mitseglern wirklich Glück gehabt.

Zum Thema Langeweile möchte ich sagen, daß dies in erster Linie eine Frage der Einstellung ist. Wenn man die unendliche Weite des Meeres liebt, gerne Wellen und Wolken beobachtet, es genießt wenn der Bug des Schiffes in die See eintaucht und eine unsichtbare Kraft das Boot über hunderte von Seemeilen antreibt, ohne Energie zu verbrennen, dann kommt keine Langeweile auf. Auf der anderen Seite hat man permanent was zu tun und der Tag wird vom Rhythmus der Wachzyklen bestimmt, wobei man während mindestens einer Freiwache schläft und in der restlichen Zeit mit anderen Tätigkeiten beschäftigt ist: Kochen, Lesen, Angeln (wenn mal ein Fisch beißt), Philosophieren, Spülen, Spinnackerbäume reparieren, usw.. Einfach an Bord leben, da man segeln nicht als Fortbewegung betrachten sollte, sondern als eine Art zu leben.

Als sich gegen 10:00 Uhr die ersten Mitsegler aus ihren Kojen erheben, kommt langsam Bewegung in die Mannschaft. Da wir keine Regelung getroffen hatten, wer für das Kochen oder Frühstück machen zuständig ist, ergab es sich immer von Tag zu Tag neu. Gerade beim Frühstück hatte so jeder seine Angewohnheiten und es entwickelte sich keine regelmäßige Frühstückskultur. Wer gerade Lust hatte setzte das Wasser für den löslichen Kaffee oder Tee auf. Als handfeste Nahrung hatten wir etliche Dosen Mestemacher-Vollkornbrot dabei, da es extrem lange haltbar ist. Eine Alternative zum Marmeladen- und Nutella-Aufstrich war Müsli mit portugisischer Milch. Da der Kühlschrank nicht permanent mit Strom versorgt wurde, konnten wir die angebrochene Milch nur maximal 2 Tage aufheben. Erst als wir in der 3.Woche das lösliche Kakaopulver gefunden hatten, verbrauchten wir die 1 Liter Milchtüten relativ schnell. Horst war nie abgeneigt zum Frühstück auch mal eine Dose Ölsardinen zu öffnen, während ich dann lieber eine Dose vegetarischer Pastete anbrach. Gegessen wurde grundsätzlich in der Pflicht, da es im Salon meist zu warm und zu stickig war. Ich erinnere mich an ein besonderes Frühstückshighlight: Christian servierte frisch gebackene Brötchen! So eine tolle Abwechselung wurde von der Crew gerne angenommen.

Unsere Wache endete dann um 11:00 Uhr und je nachdem wie weit südlich-westlich wir uns von den Kanarischen Inseln entfernt hatten, je mehr schätzten wir das Sonnensegel. Gegen 11:30 Uhr konnte es schon sehr heiß sein, so daß sich jeder irgendwo auf dem Schiff einen schattigen Platz suchte. Manchmal mußte auch der Schatten des Großsegel oder der Genua herhalten. Schattenplätze waren heiß begehrt.

Während der Reisevorbereitungen beratschlagten wir, ob es sinnvoll ist eine Hochseeangel mitzunehmen. Da man uns sagte, daß mitten auf dem Ozean sowieso kein Fisch anbeißen würde, waren wir skeptisch. Außerdem hatten wir einen Artikel gelesen (http://www.br-online.de/natur-gesundheit/sprechstunde/200011/st20001121.html) daß in der Karibik die Fische mit vorsicht zu genießen seien. Trotz aller Hinweise nahmen wir eine Angel mit. Es stellte sich heraus, daß man mitten auf dem Atlantik doch kleine Thunfische und Makrelen fangen konnte. Die einfachste Angelroute erfüllt dabei ihre Dienste im ausreichenden Maße. Es biß zwar nicht jeden Tag einer an, aber wenn die Spule ein lautes Knarren von sich gab hatten wir eine mord’s Gaudi (und wenn er dann auch an Bord war – ein gesichertes Abendessen). Leider verloren wir auf unserer Reise genausoviele Köder, wie wir Fische gefangen hatten. Tip an den Leser: Nehmt genug Köder mit. Ein ô 5 cm Plastikabflußrohr in einer Länge von ca 40 cm und ein paar Kabelbinder bilden die ideale Angelhalterung, die leicht am Heckkorb befestigt werden kann.

Wie bereits erwähnt frühstückten wir relativ spät und somit haben wir auf einen ausgedehnten Mittagstisch verzichtet. Außerdem war an Kochen unter Deck wegen der Hitze am Tage nicht zu denken; So zog man sich nachmittags gerne für 1..2 Stunden für ein Mittagsschläfchen zurück. Besonders Karin nahm diese Stunden gerne in Anspruch und verschwand teilweise bis zum Sonnenuntergang, bzw bis zum nächsten Wachwechsel in der Kajüte. Dies hatte nicht unbedingt etwas mit der Sonne zu tun sondern es lag vielmehr an ihrer Seekrankheit.

Gegen 17:00 Uhr stellte sich meist die Frage wer und vor allen Dingen was zum Abendessen zubereitet wird. Hier hatten Karin und ich auch ein weiteres Mal großes Glück mit der Wahl unserer Mitsegler. Alle waren hervorragende Köche, die sich trotz wiederholender Konserven immer wieder ein fantastisches Abendessen zauberten. Man darf nicht vergessen, daß die Bedingungen an Bord eines Segelschiffes nicht mit einem Küstenurlaub und erst recht nicht mit zu Hause vergleichbar sind. Abgesehen vom schaukelnden Schiff, fehlt es in einer Charteryacht an jeglichen sinnvollen Abstellmöglichkeiten und nützliche Halterungen etc in der Pantry, die man nur auf einer Eigneryacht finden würde.

Wieder zu Hause vermisse ich die tollen Abenden bei denen Horst mit seiner Mundharmonika die Melodie spielte und wir begeistert sämtliche Seemannslieder rauf und runter sangen. Die scheinbar grenzenlose Weite auf dem Meer, die Einsamkeit auf dem Wasser, all das werde ich so schnell nicht vergessen. Auch denke ich, daß es bei Karin die ‘Umstände’ waren, die so stark zu ihrer Übelkeit beitrugen. Wir werden Nina, die 8 Monate später auf die Welt kam, später wohl viel von diesem Abenteuer erzählen können…

Patrick Otto im Sommer 2001